Vorstand Martin Deutsch im Interview

Corona, Lockdown und Chancen

In der Jahrhunderte langen Geschichte des Einbecker Bieres dürfte man sehr lange zurück blicken müssen, um ein ähnlich schwieriges Jahr wie 2020 zu finden. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Einbecker Brauhaus AG?

Nach Beginn des ersten Lockdowns hagelte es Veranstaltungsabsagen beinahe im Minutentakt, und damit meine ich nicht allein regionale Events wie unser Hoffest oder das Einbecker Eulenfest, sondern auch internationale Großveranstaltungen wie zum Beispiel die Fußball-Europameisterschaft. Auch unser Export wurde gestoppt, als viele Grenzen geschlossen wurden – eine Situation, wie wir sie nie für möglich gehalten hätten

Wie waren Kunden des Einbecker Brauhauses betroffen?

Die Gastronomie musste während inzwischen zwei Lockdown-Phasen komplett schließen, kein gezapftes Bier ging mehr über die Theken. Unser margenstarker Fassbier-Absatz sank zeitweise auf Null. Wenn man weiß, dass eine Brauerei auf den zwei Beinen Fassbier und Flaschenbier läuft, kann sich jeder unsere Beeinträchtigung vorstellen: Es läuft sich nicht mehr so gut. Mit den Gastronomen sind wir seit Beginn im Gespräch, haben Tilgungen ausgesetzt und Fassbier zurückgenommen. Wir alle wünschen uns, bald wieder in der Gastronomie sitzen, ein Bier trinken und gut essen zu können. Ich glaube, erst dann wird vielen Menschen bewusst, welchen kulturellen und sozialen Stellenwert Gaststätten, Restaurants und Kneipen in unserer Gesellschaft haben.

Konnten Sie in der beginnenden Corona-Pandemie helfen?

Als Teil der Lebensmittelindustrie haben wir ja ohnehin Desinfektionsmittel vor Ort. In den ersten Wochen konnten wir so die Feuerwehr und Polizei in Einbeck unterstützen. Das gebrauchsfertige und selbsttrocknende Mittel auf Ethanolbasis dient bei uns zur wirksamen Desinfektion von technischen Oberflächen. Es konnte zum fortlaufenden Desinfizieren der Feuerwehrgerätschaften und des Empfangstresens der Polizeistation sowie der Bedienelemente der Funkstreifenwagen zum Einsatz kommen. Leider konnten wir in der Anfangsphase nicht, wie das andere Hersteller getan haben, Alkohol für Desinfektionsmittel bereitstellen, weil der Abfallalkohol unserer Entalkoholisierung dafür nicht geeignet ist.

Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen?

Für unsere Mitarbeiter lautet extreme Distanz das Gebot dieser Zeit. So gibt es beispielsweise keine Schichtübergaben mehr. Das soziale Leben in der täglichen Zusammenarbeit ist durch das Abstandgebot zum Erliegen gekommen – bis hin zur Absage der Weihnachtsfeier. Wir haben im Frühjahr sofort und sehr kurzfristig Homeoffice-Möglichkeiten geschaffen und dabei nicht nur Hardware und Software zur Verfügung gestellt, sondern auch höchste IT-Sicherheitsbedingungen berücksichtigt. Außer der Absage von Veranstaltungen haben wir außerdem unseren Fan-Shop schließen müssen und natürlich unseren Außendienst gestoppt. Auch Brauerei-Besichtigungen dürfen bis zum heutigen Tage nicht mehr stattfinden. Für unsere Kunden haben wir sofort die Aktionen „Flasche hilft Fass“ und „Einbecker gibt einen aus“ aufgelegt. Die Fass-Abfüllung ist zwar auf Null gefallen, dafür mussten wir aber in der Flaschenabfüllung im Sommer Zusatzschichten fahren, um die gestiegene Nachfrage befriedigen zu können.

Welche Unterstützung hat das Einbecker Brauhaus erhalten und in Anspruch genommen?

Erstmals in der Geschichte der Einbecker Brauhaus AG mussten wir Kurzarbeit einführen, insgesamt 14 Mitarbeiter waren 52 Wochen in Kurzarbeit und haben entsprechendes Kurzarbeitergeld erhalten. Die Kurzarbeit für das gesamte Unternehmen ist heute beendet. Ich möchte allen für ihre Flexibilität und Solidarität in dieser Phase danken. Stundungsmöglichkeiten beispielsweise bei der Biersteuer haben wir nicht in Anspruch genommen. Für andere Hilfemaßnahmen waren die Voraussetzungen nicht erfüllt. Unser Betriebsrat hat uns in der gesamten Zeit sehr gut unterstützt. Bislang haben wir keine Mitarbeiter entlassen müssen. Und das bleibt auch in Zukunft unser Ziel.

Welche Erfolge hat die Einbecker Brauhaus AG erreicht?

Wir haben mit einer nur kurzen Vorbereitungszeit und mit überschaubarem Aufwand die erste virtuelle Hauptversammlung der deutschen Getränkeindustrie auf die Beine gestellt. Und schließlich sind durch unsere Maßnahmen und mit persönlicher Disziplin und Vorsicht aller unsere Mitarbeiter alle gesund geblieben.

Was würden Sie sagen: Wie hat das Einbecker Brauhaus bislang die Krise gemeistert?

Im Rahmen der Möglichkeiten gut. Eine Prognose kann man aber eigentlich gar nicht treffen. Wir können nur hoffen, dass sich die Situation in der Gastronomie spätestens im Sommer wieder verbessert. Ein Lichtblick ist unser neues Produkt „Hopfenfrucht“. Regionalität ist unsere Antwort. Unsere Kooperation mit der Firma beckers bester verläuft erfolgreich. Wir haben das erste Biermischgetränk Deutschlands auf den Markt gebracht, das ohne Zucker, Süßungsmittel und künstliche Aromen auskommt. Alkoholfreies Premium-Bier trifft auf naturbelassenen Direktsaft. Unsere „Hopfenfrucht“ liegt voll im Trend, hat Null Alkohol und ist vegan.

Haben die beiden Lockdowns unterschiedlich weh getan?

Die Stimmung war im ersten Lockdown besser. Damals hat man noch eher ein Bier über den Gartenzaun getrunken, es wurde Sommer. Der Verkauf von Flaschenbier stieg an. Im zweiten Lockdown ist die Stimmung deutlich schlechter, es war Winter und es gab keine Verzehranlässe für Bier mehr. Wirtschaftlich war der erste Lockdown extrem, weil eigentlich gerade bei bestem Wetter die Außensaison hätte starten können, unsere Maibock-Saison. Und gerade da waren alle Gaststätten geschlossen. Das war schon traurig. Der zweite Lockdown tut noch mehr weh, weil er so lange andauert.

Konnten Sie sich auf den zweiten Lockdown dann besser vorbereiten?

Nein, das kann man nicht. Aber natürlich haben wir aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns gelernt, was Disposition und Lagerhaltung betrifft.

In jeder Krise ist eine Chance verborgen, sagt man. Welche neuen Erfahrungen und Möglichkeiten können Sie bislang entdecken?

Der Zusammenhalt in der Mannschaft ist noch einmal stark gewachsen. Das hat sich beim Einsatz und der Flexibilität der Mitarbeiter gut gezeigt. Es gibt eine Bereitschaft zum Wandel. Im Einbecker Brauhaus ist agiles Arbeiten kein Problem. Die Corona-Krise hat auch einen Digitalisierungsturbo gebracht, heutzutage sind Videokonferenzen zum Alltag geworden und für manche Themen eine gute Möglichkeit, sich schnell und effizient auszutauschen. Selbstverständlich sind persönliche Treffen unschlagbar und für einige Themen auch unabdingbar. Aber oftmals geht es ja auch nur um die persönliche Bereitschaft und innere Einstellung, modernere Gesprächsformate überhaupt zuzulassen. Wenn dieser innere Wandel erreicht ist, haben wir zumindest eine weitere Möglichkeit zur Auswahl.

(Das Interview hat am 15. März 2021 stattgefunden)

 

 

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